Energiewende im Kleinen
Die Welle der Rekommunalisierung hat den Ausbau der Erneuerbaren massiv befördert
Die Zukunft der Energieversorgung beginnt in Haßfurt. In dem 14 000-Einwohner-Städtchen, gelegen im Maintal zwischen Steigerwald und Haßbergen, ist erstmals in Deutschland eine vollständige wasserstoffbasierte und CO²-freie Speicher-kette für regenerativen Strom im praktischen Einsatz. Sie umfasst einen Windpark, Elektrolyseure, eine Power-to-Gas-Anlage, Drucktanks zum Speichern und ein Blockheizkraftwerk (WBHK). Überschüssiger Strom aus dem Windpark wird in Wasserstoff umgewandelt, ins Gasnetz eingespeist oder bei Windschwäche rückverstromt. Begleitet wird das Ganze von mehreren Forschungseinrichtungen. Letztlich findet sich hier ein Lösungsweg für alle Herausforderungen bei der Transformation hin zu einer 100-prozentigen Energieversorgung aus Erneuerbaren: Ausgleich der Schwankungen, Sektorkopplung und Dezentralisierung. Auch die Internationale Organisation für Erneuerbare Energien (Irena) wurde aufmerksam und hat in einem Weißbuch die Haßfurter Erfahrungen anderen Kommunen weltweit zur Nachahmung empfohlen.
»Es ist ein gutes Zeichen, dass auch kommunale Projekte international Beachtung finden, denn nur so, mit Engagement und Bürgernähe, kann der Ausbau der Erneuerbaren vorangetrieben werden, um die Klimaziele zu erreichen«, sagte Norbert Zösch, Geschäftsführer des Stadtwerks Haßfurt, dazu.
Die schmucke unterfränkische Kleinstadt ist eigentlich eine typisch bayerische, konservativ dominierte Kommune. Hier regierte jahrzehntelang fast immer die CSU, zuletzt abgelöst von den Freien Wählern, genauer gesagt der Wählergemeinschaft Haßfurt. Dass ausgerechnet im ansonsten windkraftfeindlichen Bayern ein auch noch vom genossenschaftlichen Greenpeace-Ableger Green Planet Projects mitbetriebener Windpark eine wichtige Rolle bei der Energiewende spielt, dürfte auch auf einen Eigentümerwechsel zurückzuführen sein: Im Jahr 2015 kaufte das Stadtwerk Haßfurt die Beteiligung eines Privatunternehmens an den lokalen Energienetzen zurück. Nun können sich Bürger hier finanziell beteiligen. Unter kommunaler Regie wurden die letzten Bremsen bei der örtlichen Energiewende gelöst, obwohl diese gerade vom Bund, aber auch vom Land seit vielen Jahren eher behindert als gefördert wird.
In Sachen Rekommunalisierung liegt Haßfurt bundesweit im Trend. Mindestens 365 Städte und Gemeinden kauften allein im Zeitraum von 2005 bis 2017 ihre Strom- und Gasnetze von privaten Energiekonzernen zurück, wie eine Aufstellung der Initiative Klimawende von unten zeigt. Außerdem gründeten 152 Kommunen eigene Stadt- oder Gemeindewerke. Zudem wurde die regionale Vernetzung von Stadtwerken vorangetrieben. Auch wenn vor allem das Tauziehen in Metropolen wie Berlin und Hamburg für öffentliches Interesse und politischen Streit sorgte, spielt die Musik anderswo. »Der Großteil der bisher erfolgten Rekommunalisierungen fand in Gemeinden mit bis zu 25 000 Einwohner*innen statt«, heißt es bei Klimawende von unten. Teils waren Bürgerbegehren der Auslöser. Auch wenn vor wenigen Tagen die Stadtwerke im ostwestfälischen Warburg den Zuschlag für das lokale Stromnetz erhielten, wurde es zuletzt deutlich ruhiger um das Thema. Das könnte sich absehbar aber wieder ändern: Zwischen 2023 und 2027 enden bundesweit etwa 1300 Strom- und Gasnetzkonzessionsverträge und müssen erneuert werden.
Befördert wurde die Welle der Rekommunalisierung durch neue regulatorische Vorschriften, die unter den Begriff »Unbundling« fallen: Im Jahr 2005 wurde im Energiewirt schaftsgesetz geregelt, dass Energieversorger mit mehr als 100 000 Kunden ihren Netzbetrieb vom Vertrieb trennen müssen. Durch diese Entflechtung sollten Ungleichheiten nach der Liberalisierung am Energiemarkt im Jahr 1998 verhindert werden: Energielieferanten, die ein eigenes Strom- und/oder Erdgasnetz betreiben, könnten konkurrierende Lieferanten bei der Durchleitung benachteiligen.
»Eine Rekommunalisierung oder die Gründung neuer Stadt werke sind elementare Voraussetzungen für eine schnelle Energiewende.« Hermann Scheer Energiewendevisionär
Das Unbundling gab vielen Kommunen die Gelegenheit, längst bereute Fehler zu korrigieren. Seit Anfang der 1990er Jahre waren vielerorts Konzessionen für den lokalen und regionalen Netzbetrieb an Private vergeben worden. Nach der Marktliberalisierung 1998 wurden auch Stadtwerke oder Anteile daran verkauft. Laut einer Aufstellung der Be-ratungsfirma EY nahm mehr als jede vierte der rund 11 000 Kommunen in Deutschland Privatisierungen im Energiebereich vor, um Geld in die klammen Kassen zu bekommen. Die Schattenseiten wurden indes rasch klar: Die Vergabe von Konzessionen besonders an große Energieunternehmen senkte die Einnahmen der Kommunen. Laut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung gingen im Zuge der Liberalisierung bis 2005 zudem 127 000 Stellen in der Energie- und Wasserversorgung verloren.
Dass die Netze im Zentrum des privaten Interesses standen, hat einen einfachen Grund: Da hier ein natürliches Monopol vorliegt – konkurrierende Unternehmen kann es angesichts hoher Fixkosten nicht geben –, winken sichere, üppige Gewinne. Die Investoren wollten indes nur den profitablen Status Quo erhalten. Strom und Wärme sollten wie eh und je aus mit Kohle, Gas und Atomenergie befeuerten Großkraftwerken kommen. Gering ist daher das Interesse an der Energiewende, die mit hohen Investitionskosten für den Umbau der Netze verbunden ist. »Kommunale Netzbetreiber mit einer Energiewendevision und einem Interesse an lokaler Wertschöpfung tätigen die dafür nötigen Maßnahmen eher als fossile Energiekonzerne«, erläutert die Initiative Klimawende von unten.
Mit Blick auf die Energiewende dreht sich in der Debatte Vieles um Windräder und Solarzellen, doch im Zentrum steht etwas anderes: »Das Stromnetz ist das Rückgrat einer gelungenen Energiewende«, schreibt das Bundeswirtschaftsministerium. Allerdings meint es damit lediglich den geplanten Ausbau der Höchstspannungtrassen um mehrere tausend Kilometer; die Stromautobahnen sollen große Industrieverbraucher etwa im Süden mit Offshore-Windkraftstrom aus dem Norden versorgen. Die eigentliche Energiewende findet aber im Kleinen statt: Hier müssen Verteilnetze für die Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen umgebaut werden. Rund 1,4 Millionen meist kleine Anlagen – Photovoltaik auf Haus- und Scheunendächern, Windräder und Biogasanlagen – waren laut Bundesnetzagentur im vergangenen Jahr im Einsatz, mehrere Millionen werden wohl noch dazukommen. Die Stromverteilnetze der Stadtwerke haben eine Länge von 796 000 Kilometern – damit könnte die Erde etwa 20 Mal umspannt werden. Etwa in Nordrhein-Westfalen lagen die Konzessionen zuletzt zu gut zwei Dritteln in kommunaler Hand.
Für die extrem kleinteilige Energiewende werden alle Eigentumsformen gebraucht. In der Stromerzeugung sind es viele, viele private Kleinstproduzenten, aber auch kommunale und genossenschaftliche, hinzu kommen Anlagenbauer, mittelständische Dienstleister sowie Handwerker aus der Region. Die Kommunen werden die Regie führen und die Netze betreiben, wobei Bürgerbeteiligung wie in Haßfurt hier eine breite Unterstützung samt Anteil an finanziellen Erfolgen ermöglicht. Wer indes nicht gebraucht wird, sind die großen Energiekonzerne. »Eine Rekommunalisierung früher veräußerter Stadtwerke und Netzrückkäufe oder die Gründung neuer Stadtwerke sind elementare Voraussetzungen für eine schnelle Energiewende«, schrieb der früh verstorbene Energiewendevisionär Hermann Scheer, der seiner Partei, der SPD, um Jahrzehnte voraus war, in einem 2010 veröffentlichten Buch.
Ob die aktuelle Energiekrise und die Zinswende den Prozess der Rekommunalisierung lähmen werden, ist unklar. Einige Stadtwerke haben bereits Liquiditätsprobleme und mussten wie im südbadischen Bad Säckingen von der Kommune gestützt werden. Auch nach einem bundesweiten Rettungsschirm wurde aus der Branche schon gerufen. Wer aber rechtzeitig rekommunalisiert und die Energiewende angestoßen hat, kommt mit den Turbulenzen beim Erdgas besser klar: Gerade der »Ertragsbereich der Netze« wirke stabili-sierend, wie der Geschäftsführer der Stadtwerke Konstanz, Norbert Reuter, in einem Interview mit der »Zeitung für kommunale Wirtschaft« sagte. Auch ein großes Erneuerbaren-Portfolio helfe dank der hohen Strompreise beim Stützen defizitärer, kommunaler Bereiche. »Spätestens die aktuelle Krise zeigt ja, wie wichtig es ist, uns von fossilen Energien unabhängig zu machen und auf dezentrale und erneuerbare Energien zu setzen«, so Reuter. »Und wer soll das in dieser Kleinteiligkeit leisten, wenn nicht wir als Stadtwerke?«
In Haßfurt ist man bei der Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen schon weit gekommen: Die Stadt samt Umlandgemeinden hat bei erneuerbarem Strom inzwischen eine Eigenversorgungsquote von über 200 Prozent erreicht. Dies soll aber mit Blick auf die Umgestaltung im gesamten Energiesystem nur ein Anfang sein: So sagte Bürgermeister Günther Werner von der örtlichen Wählergemeinschaft anlässlich der Irena-Auszeichnung:
»Ich bin stolz darauf, dass wir hier in Haß-furt mit gutem Beispiel vorangehen. Auch wenn wir noch lange nicht dort sind, wo wir hinwollen.«
Erst vor wenigen Tagen stellte das Stadtwerk ein neues Vorhaben vor. Die Altstadt könnte über eine Flusswasserwärmepumpe, die an der alten Mainmühle installiert werden soll, mit regenerativem Strom beheizt werden. Auch hier ist eine wichtige Voraussetzung, was die Haßfurter wollen: Beginnen soll das Projekt, wie Stadtwerk-Chef Zösch gegenüber dem Regionalsender Radio Primaton erklärte, mit einer »Befragung unter der Bevölkerung, wer bereit ist, sich an dieses Wärmenetz anzuschließen«. Ansonsten gehe zunächst die Kommune mit ihren Einrichtungen mit gutem Beispiel voran.
Quelle: Norddeutsche Zeitung